aspekte "Dies ist ein einseitig geführter Klassenkampf" - Interview mit Rolf Hochhuth Mit seinem neuen Theaterstück provoziert der Dramatiker einmal mehr die Republik. Es geht um mangelnde moralische Verantwortung der Unternehmerschaft und um eine Warnung: Hochhuth sieht Deutschland in "vorrevolutionären" Zeiten, schließt Gewalt gegen skrupellose Wirtschaftsbosse nicht aus. Das Gespräch führte Christhard Läpple. 23.01.2004
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aspekte: "Herr Hochhuth, schämen Sie sich", das sagt jedenfalls Michael Rogowski, seines Zeichens Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Sie beschreiben Klassenkampf und die Guillotine ... Rolf Hochhuth: Das ist richtig ... aspekte: ... und Terrorismus ... Rolf Hochhuth: ... nein, nein, das nicht ... aspekte: Und er sagt, damit wäre die Debatte praktisch in eine völlig andere Situation gebracht. Verlassen Sie mit diesem Stück den Boden der Auseinandersetzung? Rolf Hochhuth: Nein, ich bin mir sehr treu geblieben (...) Ich war 1965 beim IG-Metall-Chef Otto Brenner, einer ehrwürdigen Figur, der mir in bewegten Worten klar machte, dass es doch nicht angeht, dass man dem Arbeitnehmer steuerlich ganze 312,- Mark im Jahr gewährt. Dadurch kam das Wort Klassenkampf wieder auf, und es hat Bundesminister Erhard sehr erregt. Heute greife ich das Wort ganz bewusst wieder auf. "Ich habe nichts gegen Kampf" Es steht zwar nicht in meinem Stück - glaube ich -, aber wenn eine deutsche Firma, die so alt ist wie das Bismarckreich, 1871 gegründet, die Deutsche Bank, wenn die in diesen 130 Jahren jetzt den Rekordgewinn überhaupt gemacht hat, nämlich 9,8 Milliarden Euro ( ...), gleichzeitig aber 11.080 Banker rausschmeißt, 14 Prozent ihrer Belegschaft, dann ist das nicht nur ein total amoralisch geführter, weil einseitig geführter Klassenkampf, - ich habe überhaupt nichts gegen Kampf - aber dieser Klassenkampf ist einseitig geführt, denn kein einziger Rausgeschmissener hat ein einziges legales Rechtsmittel. Erstens ist es sehr unmoralisch, alle Entlassenen dem Staat aufzubuckeln, und zweitens ist Herr Ackermann Schweizer. Mord als Hilfsmittel? Und deshalb habe ich das Bild von Wilhelm Tell genannt. Er, der seit seiner Schulzeit Wilhelm Tell kennt, weiß, was der Geßler für ein sehr harmloser Mann war, gemessen an Ackermann. Und Ackermanns bedeutendster Landsmann, der Basler Jakob Burckhardt, hat 1867 geschrieben "der Mord als Hilfsmittel", wörtlich sage ich Ihnen das so, weil ich ihn 2-3 mal zitiert habe, "da man bei Abwesenheit aller legalen Rechtsmittel Richter in eigene Sache wird und der Staat sowohl wie das Individuum es anlegt auf die Zernichtung des Gegners". Burckhardt schrieb als Basler "Zernichtung" statt Vernichtung. Herr Ackermann soll sich in Acht nehmen. Ich glaube nicht, dass auf die Dauer solche Ehrengesetze der Geschichte -Meuchelmord ist absolut ekelerregend, ist aber nie auszuschließen gewesen - und so wie Herr Rohwedder umgelegt wurde, weil die Ossis sich gegen ihn nicht wehren konnten, so könnte das auch diesem mächtigen Bankier passieren, da keiner seiner Entlassenen sich gegen ihn wehren kann. aspekte: Spielen Sie da nicht mit dem Feuer, Herr Hochhuth? Heißt das nicht ... Rolf Hochhuth: ... mit dem Feuer spielt der, der so etwas tut und spielt auch der Staat, wenn er glaubt, so kann das weitergehen. Es wird eine Revolution geben. Ich hoffe, es wird keine blutige, sondern es wird eine normale. Und jetzt sage ich Ihnen etwas, das werden unsere Zuschauer für so idiotisch halten, wie man es vor 55 oder 60 Jahren für idiotisch gehalten hätte, würde ein alter Mann gesagt haben: "Die Jungen unter euch werden noch erleben, dass in jeder europäischen Arbeiterküche ein Fernsehgerät steht, in dem man sogar farbig und zeitgleich Ereignisse sehen kann". Der hätte sich anstaltsreif geredet. Und so sage ich heute: "Die Jungen unter uns werden noch erleben, dass der Staat, der Gesetzgeber, dem Studienrat und dem Chauffeur und dem Bäckergesellen und dem Schornsteinfeger verbieten muss, mehr als acht Stunden zu arbeiten, damit im Jahr die andere Hälfte mal arbeiten darf".
aspekte: In der Sache haben Sie nichts zurückzunehmen, das ist für Sie kein Aufruf zum Mord oder zum Mordanschlag? Rolf Hochhuth: Überhaupt nicht. Das Gedicht ist überschrieben mit "Warnung" und es weist ausdrücklich darauf hin, dass selbstverständlich diesem Mann [Herrn Ackermann, Anm. d. Red.] dasselbe passieren kann, was seinen Vorgängern Ponto, Herrhausen, Herrn Schleyer passiert ist und vor allen Dingen dem Rohwedder. Er hat offensichtlich nicht die geringsten Bedenken. Er kommt als Landsfremder nach Deutschland und macht die mächtigste und reichste Firma dieses Landes so zum Gespött, das ist doch nichts als unanständig. "Felonie" Ich meine, ein normaler Unternehmer, freundliche Menschen - wie zum Beispiel meine Vorfahren allesamt - die hätten sich doch geschämt, in Geschäftsgewinnjahren Menschen rauszuschmeißen. Und die Schande ist, dass unsere Regierung, und zwar beide, ob Frau Merkel oder Herr Schröder, das genauso absegnet, wie es den Bankern gefällt. ( ...) Wissen Sie wie Bismarck das genannt hat? Er hat es Felonie genannt. Ich muss das buchstabieren, weil kein Mensch das Wort mehr kennt: Felonie. Das war tausend Jahre lang in der deutschen Geschichte, in der europäischen überhaupt, das Verbrechen "Untreue des Herrn gegenüber seinem Knecht". Heute ist das Entsetzliche, dass das Wort vergessen ist, denn heute wird es praktiziert in einem Ausmaß wie niemals zuvor. ( ...) Es ist nicht so, dass Moral und Geschäft immer einander ausgeschlossen haben. aspekte: Ich zitiere noch mal Burckhardt: "Bei Abwesenheit aller legalen Rechtsmittel". Ist dann Mord ein Hilfsmittel, wenn man ... Rolf Hochhuth: ... das hat er gesagt. Wenn der Mord als Hilfsmittel praktiziert wird. Er hat das nicht gut geheißen, er hat es nicht verurteilt. Er hat aus seiner eminenten Kenntnis der Weltgeschichte gesagt, "so ist das, das wird immer wieder passieren". Und mein eklatantes Beispiel aus unserer Zeit ist tatsächlich die Ermordung des Treuhandchefs Rohwedder. (...) Wir sind in einer vorrevolutionären Phase. Ich nehme an, das dauert noch 20, 30 Jahre. aspekte: Wann ist für Sie dieses Stück ein Erfolg? Oder ist bereits der Wirbel um das Stück, vor dem Stück ... Rolf Hochhuth: ... nein, nein, das Stück ist ein Erfolg, wenn es als Stück auf der Bühne so gezeigt wird, dass die Zuschauer Spaß daran haben. Ich fühle mich als Schüler von Bernhard Shaw. Ich weiß, dass ich den nie erreiche, aber der hat mich gelehrt, dass man brisante Themen lustig verpacken muss. Nicht als Schullesebuch, sondern so, dass die Leute lachen. Und es würde mich freuen, wenn ich das erreiche.
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5:42:49 PM
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