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Beatrice von Bismarck, Diethelm Stoller, Ulf Wuggenig

DAS INTERDISZIPLINÄRE PROJEKT "KUNSTRAUM DER UNIVERSITÄT LÜNEBURG

Auszug aus: Beatrice von Bismarck, Diethelm Stoller, Ulf Wuggenig: Kunst, Ökologie und nachhaltige Entwicklung. In: Gerd Michelsen (Hg.): Sustainable University - Auf dem Wege zu einem universitätren Agendaprozeß. Frankfurt/Main 2000


1 Der historische Hintergrund und der Kontext des Projekts

Das Projekt Kunstraum der Universität Lüneburg wurde Anfang der 90er Jahre im Bereich der Kulturwissenschaften konzipiert und im Jahre 1994, unterstützt durch die Stiftung Niedersachsen (Hannover) formell institutionalisiert. Für die Fortführung des Projekts, das von den Autoren dieses Beitrags, die sich aus drei Disziplinen rekrutieren, geleitet wird, werden beständig Drittmittel eingeworben. In Anknüpfung an Vorstellungen, die im Manifest des Kollegiums des Collège de France (1987) über das "Bildungswesen der Zukunft" formuliert wurden, aber auch an die Vorschläge über die Öffnung von Institutionen und Disziplinen, welche die neokonzeptuellen Künstler Clegg & Guttmann (1995) einbrachten, besteht eines der allgemeinen Ziele des Projekts in der Überwindung von historisch überkommenen disziplinären Beschränkungen in der Beschäftigung mit Kunst. Im deutschsprachigen Universitätssystem bleiben - im Gegensatz etwa zum angelsächsischen - die zeitgenössische Kunst und der um sie gelagerte intellektuelle Diskurs im wesentlichen ausgegliedert. Die Kunstgeschichte versteht sich als historische Disziplin im strikten Sinne, eine Zeitgeschichte der Kunst ist gewöhnlich nicht vorgesehen. Ein weiteres Merkmal der deutschsprachigen Universität ist die starke Segregation der Geistes- und Sozialwissenschaften, sodass auch kunstsoziologische oder -ökonomische Traditionen, wie sie sich etwa in Frankreich oder den USA herausbilden konnten, hier nicht existieren. Das in die Lehre integrierte Projekt setzte sich deshalb zunächst das Ziel, den Austausch zwischen den drei segregierten Feldern der zeitgenössichen Kunst, der Kunstgeschichte und der Soziologie zu initiieren. Während manche Vertreter der Sozialwissenschaften, wie auch der gegenwärtige Präsident der International Sociological Association (vgl. Wallerstein 1995; Calhoun 1992) der Auffassung sind, dass z. B. den Grenzen zwischen Disziplinen wie Soziologie, Ökonomik, Politologie und Anthropologie mittlerweile kaum noch eine sachliche Berechtigung zukomme, da das Spektrum zulässiger Themen, Methoden und Theorien innerhalb dieser Disziplinen ungleich größer ist als zwischen ihnen, gilt diese Beschreibung weder für das Verhältnis zwischen Kunst und Soziologie noch für das von Kunstgeschichte und Soziologie. Methodologisch gesehen sind diese Disziplinen durch den Gegensatz von idiographischer und nomothetischer Orientierung getrennt. Stehen z. B. in der Kunstgeschichte die Beschreibung, das Verstehen und die Erklärung des Besonderen (des Einzelwerks, des ouevres, des Künstlers) im Vordergrund, was nicht selten in eine charismatische Hagiographie mündet, so ist die Soziologie eher an der entzaubernden Darstellung von Regel- und Gesetzmäßigkeiten mittlerer oder größerer Reichweite orientiert und verliert dabei oft das Spezifische der künstlerischen Praxis und Produktion aus dem Blick. Beide Disziplinen verdunkeln bestimmte Aspekte der Realität, und beide haben von der anderen etwas zu erfahren, was sich aus dem eigenen Zugang mit seinem Satz an Regeln und Zwängen nicht ergibt.

Als eine weitere (Sub)Disziplin, mit der im Rahmen des Projekts Kunstraum enge Kooperationsbeziehungen eingegangen wurden, kam zunächst die an der Universität Lüneburg angesiedelte Kulturinformatik hinzu, die sich mit den neuen digitalen Medien befaßt. Im Jahre 1997 konnte der Austausch schließlich auf ein größeres Spektrum von (Sub)Disziplinen ausgedehnt werden (Umweltkommunikation, Erziehungswissenschaften, Chemie, Biologie), eingeleitet durch Diskussionen über den Begriff der nachhaltigen Entwicklung, aus denen sich neue interdisziplinäre Kooperationsperspektiven ergaben. In dieses Jahr fiel auch die Entscheidung, den amerikanischen Künstler Dan Peterman, für ein Projekt mit breiter disziplinärer und interdisziplinärer Anschlußfähigkeit an die Universität einzuladen. Peterman schlug ein nomadisches Treibhaus für den Universitätscampus vor, eine partizipatorische Installation, die über zwei Jahre hinweg über den Campus wandert und dabei ihre Funktionen verändert. Die Entscheidung, professionelle Künstler/innen systematisch in die universitäre Lehre und Forschung zu integrieren, verdankt sich nicht zuletzt den Reformvorschlägen des Collège de France (1987, S. 278). Insbesondere war die Anregung wichtig, "wirkliche Kunstschaffende" in die universitäre Lehre einzubinden, nicht nur, um - wie es darin heißt - "den zum Teil sicher unaufhebbaren Unterschied von Kultur und schulischer Bildung in Erinnerung zu bringen", sondern weil die Kunst der Welt auch spezifische Möglichkeiten anbietet, sich selbst zu beobachten (vgl. Luhmann 1995).

Das Kunstraumprojekt ist eingebettet in einen kulturwissenschaftlichen Studiengang neuen Typs. Genauso wie sich der Kunstraum als diskursiver Ort und realer Ausstellungsraum von den typischen "art galleries" US-amerikanischer Universitäten durch die systematische Integration seines Programms in die universitäre Forschung und Lehre unterscheidet, gibt es auch Differenzen zu den Cultural Studies des angelsächsischen Raums. Die Cultural Studies sind inter- und transdisziplinär orientiert (vgl. Nelson & Gaonkar (Hrsg.) 1996; During (Hrsg.), 1999), das Spektrum beschränkt sich dabei aber auf den Bereich der humanities, der Kommunikationswissenschaften und den interpretativ orientierten Flügel der Sozialwissenschaften. Die Kulturwissenschaften, wie sie sich an der Universität Lüneburg in Form des quantitativ größten Studiengangs dieses Typs im deutschsprachigen Raum herausgebildet haben, umfassen in ihrem multidisziplinärem Spektrum hingegen auch nomothetische Disziplinen (Ökonomik) und Spezialisierungen, die sich aus den Natur- bzw. Formalwissenschaften herleiten, wie die Informatik. Ursprünglich war auch die Ökologie Teil des multidisziplinären Spektrums, nach ihrer Auslagerung in einen eigenen Fachbereich Umweltwissenschaften sind mittlerweile wieder Reintegrationsprozesse zwischen den Kultur- und Umweltwissenschaften in Gang gekommen. Das Projekt Agenda 21-Universität Lüneburg und das darin eingebundene Projekt "Treibhaus" sind dafür Beispiele. Im Gegensatz zu dem in den Cultural und Visual Studies verbreiteten kulturellen und ästhetischen Populismus, der in einer Konzentration auf die kommerzielle Populär- bzw. Massenkultur und einer Vernachlässigung der künstlerischen Produktion zum Ausdruck kommt, ist im Lüneburger Modell die Beschäftigung sowohl mit Populärkultur, als auch mit historischer und zeitgenössischer Kunst fester Bestandteil von Forschung und Lehre.

Im Rahmen des Programms des Kunstraums sind seit 1993 regelmäßig internationale Künstler/innen, Architekt/innen, Kurator/innen und Kritiker/innen an der Universität Lüneburg zu Gast. Sie werden zu Vorträgen, zu Werkpräsentationen, zu Lehrveranstaltungen oder zu gemeinsamen Projekten eingeladen. Die Projekte, die nicht den beschleunigten zeitlichen Rhythmen des Kunstfeldes folgen, sondern dem universitären Zeitrahmen und sich deshalb auch über mehrere Semester erstrecken können, werden von interdisziplinären Seminaren begleitet. Sie münden in Ausstellungen, Katalog- und Buchproduktionen, zum Teil auch in permanente Installationen, wie dies in der Vergangenheit z. B. bei einem Projekt mit Christian Boltanski (Paris) und einem Projekt mit Christian Philipp Müller (New York) der Fall war, wobei letzteres die Frage der Identität der Universität und der symbolischen Identifikation der Mitglieder mit ihrer Institution thematisierte. Ein Teil der Projekte wird von empirischer Forschung begleitet bzw. beruht auf qualitativen Feldexperimenten, die von Künstlern konzipiert und wissenschaftlich ausgewertet werden (vgl. den Überblick über die Projekte in: von Bismarck, Stoller & Wuggenig 1996, 1999).

[...]

siehe: http://kunstraum.uni-lueneburg.de/texte/kunstraum.html

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