Hingehen! Unbedingt!
"Recklinghausen sagt der guten alten Zeit Adieu
Ruhrfestspiele starten mit Liederabend
Wenn ein renommiertes Festival mit einem Liederabend [cedilla]ber den Abschied beginnt, dann darf man sich dabei wohl etwas denken. Im Falle der Ruhrfestspiele muss man nicht lange raten; der langj[per thou]hrige Chef Hansg[cedilla]nther Heyme verabschiedet sich mit dieser Spielzeit, und der neue, Frank Castorf, wird den Festspielen ein neues Gesicht geben.
"Les Adieux", "Abschiede", hie[fl] das Programm, grammatisch nicht ganz korrekt, daf[cedilla]r aber mit sinnf[per thou]lligem Hinweis auf eine Beethoven-Sonate. Die Inszenierung kam - noch eine Anspielung - aus Hamburg, wo vor 58 Jahren der legend[per thou]re Coup gestartet war, der zu dem Schlachtruf: Kunst f[cedilla]r Kohle! gef[cedilla]hrt hat. Recklinghausen schickte im harten Nachkriegswinter Kohle nach Hamburg, zum Knochenw[per thou]rmen, und die Hamburger revanchierten sich mit Theater, zum Herzw[per thou]rmen. So war das damals, so sind die Ruhrfestspiele entstanden.
Jetzt also sind die Hamburger Kammerspiele gekommen und haben das letzte Adieu f[cedilla]r die alten Ruhrfestspiele gesungen. Es war herzzerrei[fl]end sch[^]n, oft ironisch, manchmal ein bisschen wild; jedenfalls ohne Wehmut, stattdessen mit einer gewissen heiteren Aggressivit[per thou]t, wie sie immer dann entsteht, wenn man nicht wei[fl], was die Zukunft bringen wird. ...
Lebe wohl, gute Reise, und denk an mich zur[cedilla]ck - nicht ein Lied an diesem Abend, bei dem sich nicht die Parallele zur aktuellen Situation der Ruhrfestspiele ziehen lie[fl]e.
Drei M[per thou]nner und drei Frauen sitzen in einem Wartesaal, im Hintergrund rinnt Regen von einer riesigen Scheibe. Stimmkr[per thou]ftig singen sie querbeet: Schlager, Musical, Madrigale, Volkslieder; ein bisschen Schubert. Dazu gibt es Posen. Eine Blondine (Sabrina Ascacibar) st[^]ckelt im engen Spitzenkleid, ein Langhaariger (Peter Franke) holt aus einer Plastikt[cedilla]te erst eine und dann noch eine Rotweinflasche und leert sie z[cedilla]gig. Burghart Klau[fl]ner mit Krawatte scharwenzelt um die Damen, Alexander Geringas rockt im roten Samtmantel, Marion Martienzen gibt mit schwarz ummalten Augen die Nina Hagen und Theresa Berlage sieht aus wie ein Muttchen, singt aber wunderbar soulig.
Die Inszenierung lebt von der Irritation. Auf "Zwei rote Lippen und ein roter Tarragona" folgt "Jetzt reicht's" von Phil Collins, und Erich Weinerts Kampfgesang: "Der Krieg, der vor der T[cedilla]r steht, ist immer gerichtet gegen dich, Prolet!" schwingt aus in "Sch[^]n war die Zeit". Da gibt es gro[fl]e Lacher und Applaus. F[cedilla]r Nachdenklichkeit bleibt kein Raum, doch die Mischung aus Sentiment und Frechheit ist au[fl]erordentlich publikumswirksam.
Als Premierengast tritt Esther Ofarim auf. Sie hat im vorigen Jahr den Er[^]ffnungsabend bestritten, und auch diesmal singt sie Heines "Leise zieht durch mein Gem[cedilla]t", erst hebr[per thou]isch, dann deutsch. Und wieder ist das Publikum hingerissen.
Am Ende hei[fl]t es: Good bye, good bye, gib mir den letzten Abschiedskuss, es waren sch[^]ne Stunden, die man nicht mehr vergisst. Da liegt die Symbolik zum Greifen in der Luft.
Der Applaus ist grandios. Ein begeistertes Festpublikum hat einen wunderbaren Abend genossen."
Von Gudrun Norbisrath, [WAZ]
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11:53:02 PM
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