letzte Änderung: 01.03.05; 19:06:56.
Kunstspaziergänge
Spaziergänge in Berlin und Umgebung
        

Donnerstag, 17. Februar 2005

Hartung gehört zu den zentralen Figuren der deutschen Bildhauerei um die Mitte des 20. Jahrhunderts. Er war einer der wenigen Künstler, die sich im Widerspruch zur nationalsozialistischen Kunstdoktrin mit der Abstraktion befassten und deren künstlerische Entwicklung sich parallel zur europäischen Avantgarde und in Übereinstimmung mit ihr vollzog. Charakteristisch für Hartungs Werk sind die organischen Abstraktionen, die sich Figürlichkeit und Sinnlichkeit immer auch bewahrt haben. Sein zentrales künstlerisches Anliegen war die Verbildlichung des schöpferischen Prinzips. Hierbei bildeten Gegenständlichkeit und Abstraktion für Hartung jedoch keine sich ausschließenden, sondern sich gegenseitig bereichernde Gegensätze. Gegenständliches hat er jedoch nie naturalistisch-abbildhaft aufgefasst, sondern immer organisch abstrahiert.
(Text hier entnommen)
Wachsende Flügel (Kristalline Form)
Karl Hartung, 1963

Günter Grass war Meisterschüler bei Hartung. Hier ein Auszug aus einem Grass-Interview vom 22.11.89 (aus: Katalog Ein Werkstattbericht, Steidl-Verlag 1992):

Und was war das, was für Sie Hartung als Lehrer ausgemacht hat, im Unterschied zu Heiliger, Uhlmann oder anderen?

Ich habe immer gegenständlich gearbeitet, und das brachte auch Probleme mit, auch mit Hartung, der gelegentlich etwas, das ich gegenständlich angelegt hatte, in Richtung einer unbestimmten abstrakten Form geändert sehen wollte, und dann bei mir die Sperre und die Weigerung. Und das hat er toleriert. Deswegen ist das Spektrum der Arbeiten, glaube ich, in der Hartung-Klasse ein ziemlich breites gewesen. Es gab solche, die sehr stark von ihm beeinflußt waren, beeinflußt in einer bestimmten Richtung Hartung: der Abstraktion bis ins Gegenstandslose, Jendritzko zum Beispiel und andere, die ihn, wie auch ich, mehr von seinen gegenständlichen Plastiken werteten und schätzten. ...

Sie haben einen Nachruf auf Hartung geschrieben und dort auf enen Satz gebracht, was für Sie Hartung ausmachte: der Satz »Natur - und doch bewußt« ...

... das war sein stehender Lehrer-Satz, das heißt: kein Naturalismus, sondern von der Natur ausgehend, wissend - auch dort, wo er gegenstandslos wurde, hatte er im Grunde immer Naturformen, pflanzliche Formen als Vorbilder, er kam von der Natur her und war sich auch bewußt, daß wir als Menschen gar nicht in der Lage sind, Formen zu erfinden, die die Natur überbieten könnten, daß also alles, was aus der Natur rausfällt, im besten Fall Dekoration ist.

Spielte in Gesprächen mit Hartung, in der Klasse, auch die Auseinandersetzung mit der Nazizeit eine Rolle? Haben Sie mit ihm darüber gesprochen, sowohl über die Kunst dieser Zeit wie auch über die eigenen Erfahrungen in dieser Zeit?

Nein. Ich kann mich an Gespräche dieser Art mit Hartung nicht entsinnen - mit Schrieber schon. Schrieber, der zum Jungen Rheinland gehörte, also dieser Generation, die noch zu unbekannt war, um zu den Künstlern zu gehören, die in die »Entartete Kunst« hineingekommen wären, aber doch immerhin schon in Düsseldorf profiliert genug, so daß er Ausstellungsverbot hatte. Er wurde dann Soldat, und ich kenne Arbeiten von ihm aus dieser Zeit, Aquarelle, die er als Soldat gemalt hat, da ist nichts von Nazikunst zu spüren, das ist eine geradlinige Weiterentwicklung.

Hartung hat darüber nicht gesprochen?

Hartung war ein sehr distanzierter Mann, da mußte man schon ein paar Glas getrunken haben, daß er mal auftaute und von sich berichtete, aber auch das dann sehr sparsam.

Und die Kunst aus dieser Zeit, Plastiken aus der Nazizeit, das war kein Thema?

Nein. Das kam für uns gar nicht in Frage.

Auch nicht als Gegenentwurf, als Thema, an dem man sich gerieben hätte? Oder war es ein Neuanfang, bei dem sich niemand dafür interessierte, was vorher war, auch künstlerisch vorher war?

Ich würde nie sagen, daß das Hartung nicht interessiert hat. Bei Schrieber war das eine andere Sache, weil das nicht nur ein Lehrer/Schüler-Verhältnis war, sondern eben auch ein Freundschaftsverhältnis, und Offenheit. Und von Schrieber weiß ich auch aus der Düsseldorfer Zeit, daß er bis zur Schlägerei sich mit Leuten in Düsseldorf auseinandergesetzt hat, die ihm das Malverbot damals verhängt hatten und die im »Malkasten«, der Künstlervereinigung in Düsseldorf, Ende der vierziger Jahre schon wieder eine Funktion hatten. Bei Schrieber hat sich das vehement bis zur Schlägerei ausgedrückt. Und Hartung war ein anderer Mensch, viel introvertierter. Ich weiß, daß er bei einigen Plastiken zwischen einer gewissen Nahe zu Moore aber auch zu Arp stand, daß ihm aber aus seiner Sicht die Arpschen wie die Mooreschen Plastiken eben zwar »Natur - aber nicht bewußt genug« waren, nicht geformt genug waren, zu weich waren, das war aber mehr sein eigenes Problem, sich zwischen diesen vorgegebenen Größen zu bewegen und zu behaupten.


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