letzte Änderung: 31.08.03; 17:34:48.
Kunstspaziergänge
Spaziergänge in Berlin und Umgebung
        

Samstag, 30. August 2003

Kentaur und Nymphe
Reinhold Begas (Entwurf von 1881 in Bronze gegossen 1886)

vor der alten NationalgalerieEs wird angenommen, dass es die Novelle Der letzte Zentaur von Paul Heyse gewesen ist, die Begas zu dieser Gruppe anregte.

... und nun stellt euch vor, daß der ganze heroische Gliederbau von der glattesten silbergrauen Decke überzogen war, unter der man jede Muskel spielen und bei jedem Fältchen, das sie warf, die Sonne wie auf hochgeschorenem Samt schimmern sah. Aus diesem mächtigen Gestell wuchs ein Menschenleib hervor, der sich mit dem tierischen wohl messen konnte - Arme, Brust, Schultern wie vom Farnesischen Herkules gestohlen, so recht in der Mitte zwischen fett und hager, die Haut sanft angebräunt und ebenfalls hie und da stark behaart, wie denn auch von dem mächtigen dunklen Schopf, der ihm Stirn und Haupt umwallte, noch eine wehende Mähne bis tief auf den Rücken hinunterwucherte, übrigens, gleich dem lang nachschleppenden kohlschwarzen Roßschweif, dem Anschein nach wohlgepflegt. Es war überhaupt nicht zu verkennen: das Fabelwesen hielt etwas auf sein Äußeres. Keine Spur von tausendjährigem Staub und Unrat, der Bart am Kinn zierlich gestutzt und gekräuselt, und wie ich mich erst getraute, ihm näher in das ernsthaft treuherzige Gesicht zu sehen, das nur etwa so wild war wie ein Bube, der aus Verlegenheit trotzig dreinschaut, bemerkte ich, daß er einen kleinen Rosenzweig, eben frisch, wie es schien, vom Strauch gebrochen, in das dichte Haar hinters Ohr gesteckt hatte.
...
Dann aber richtete er seine großen glänzenden Augen auf das Schenkmädchen, das neben mir stand, zwei offene Flaschen voll Tirolerwein in den Händen. Sie hatte sie für die Gäste heraufgetragen, die das Hasenpanier ergriffen hatten, und stand nun, da sie, obwohl mit dem Dorfschneider verlobt, ein munteres, kouragiertes Frauenzimmer war, ohne Scheu neben mir auf dem Altan, um die Wundergestalt in aller Arglosigkeit zu betrachten. Dem Fremdling mochte die saubere Dirne - man hieß sie die schöne Nanni - ebenfalls einleuchten, nicht minder auch der rote Wein, den sie trug. Mit so viel Lebensart, wie man solchen Roßmenschen kaum zutrauen sollte, nahm er den Rosenzweig hinterm Ohre hervor, roch erst daran und überreichte ihn dann ... dem schönen Kinde, das etwas geschämig tat, die Blumen aber doch nicht ausschlug, sondern in ihren Brustlatz neben den silbernen Löffel steckte.


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