Auftrag wollte ich machen, seit ich die Geschichte Das Licht auf dem Galgen von Anna Seghers gelesen hatte. Licht auf dem Galgen ist ihre Auseinandersetzung mit dem Stalinismus: Napoleon/Stalin, der Liquidator der Revolution. Mich interessierte vor allem das Motiv des Verrats, auch wegen meines Reiseprivilegs. Die Seghers beschreibt das so: Beim Halt auf einem Hügel in Jamaika, als in dem Jakobiner Debuisson - er hat die Nachricht vom 18. Brumaire bekommen und weiß, daß die Revolution vorbei ist - zum ersten Mal »die Stimme des Verrats« zu sprechen beginnt, sieht er zum ersten Mal, wie schön Jamaika ist. ...
Der 2. Teil des Fahrstuhl-Texts in dem Stück ist ein Traumprotokoll, der Traum das Produkt eines Nachtgangs von einem abgelegenen Dorf zur Hauptverkehrsstraße nach Mexico City, auf einem Feldweg zwischen Kakteenfeldern, kein Mond, kein Taxi. Ab und zu tauchten dunkle Gestalten wie von Goya-Bildern (hier: Bilder von Ed Pien) auf, gingen an uns vorbei, manchmal mit Taschenlampen, auch mit Kerzen. Ein Angst-Gang durch die Dritte Welt.
Die andere Erfahrung, die der Text aufnimmt, war mein Bittgang zu Honecker im Gebäude des Zentralkomitees, der Aufstieg mit dem Paternoster. In jeder Etage saß dem Paternoster gegenüber ein Soldat mit Maschinenpistole. Das Gebäude des Zentralkomitees war ein Hochsicherheitstrakt für die Gefangenen der Macht. ...
Auftrag habe ich zweimal inszeniert, 1980 im dritten Stock der Volksbühne, zusammen mit Ginka Tscholakowa, der Bühnenbildner war Hans Joachim Schlieker, und es war meine erst Regie überhaupt, und 1982 in Bochum, in einem Bühnenbild von Erich Wänder.
(Müller in: Krieg ohne Schlacht - Leben in zwei Diktaturen)
Gut, dass wir nicht auf die Kritiker hörten, die waren offensichtlich alle in einer anderen Inszenierung. Es war ein anregender Theaterabend. Sehr beeindruckend Udo Samel mit dem Monolog des autoritätsgläubigen Befehlsempfänger im Fahrstuhl auf dem Weg zu seinem Chef, den er in Gedanken Nummer eins nennt. Der Mann im Fahrstuhl, Abbild des charakterlosen Mitläufers und willfährigen Untertanen, nimmt in maßloser Selbstüberschätzung als Kehrseite seines Minderwertigkeitskomplexes an, daß er seine persönliche Geschichte im Griff habe. Was er zunächst als eine Art Auftragserteilung, Beförderung, Prämienzuteilung, Ordensverleihung oder zumindest Vertraulichkeit zwischen ihm und seinem Chef und somit als Aufwertung seiner Person erwartet, endet in einem geschichtslosen Vakuum, das mit dem Bild einer verelendeten Landschaft in Peru umschrieben wird:
Ich verlasse den Fahrstuhl beim nächsten Halt und stehe ohne Auftrag, den nicht mehr gebrauchten Schlips immer noch lächerlich unter mein Kinn gebunden, auf einer Dorfstraße in Peru.
(A. Heidenreich)
7:29:29 PM
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