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Freitag, 16. Juni 2006 |
E.T.A. Hoffmann
Kreuzberg, Karin, 1979
Es liegt viel zwischen heute und jener Zeit, wo Hoffmanns Name in aller Mund und seine Bücher in jedermanns Händen waren. Man hat das Verständnis für die brillante, überlegene, ironische Schreibart und für die raffinierte Mischung von Alltag und Märchen verloren, deren große Meister Ludwig Tieck und E. T. A. Hoffmann waren. Immerhin läßt sich das Schwinden des Interesses für Tieck eher begreifen als die Vernachlässigung Hoffmanns. Denn während jener bei aller Feinheit ohne Kraft und seine delikate Ironie nur für wirkliche Kenner ganz rein zu genießen ist, sind in Hoffmanns [sind] Dichtungen brennende Phantasie und realistische Erzählerkunst so kräftig und glücklich gemischt, daß die Lektüre den weitesten Leserkreisen seltene Genüsse bietet. Tieck ist Plauderer und Ironiker, Hoffmann ist Erzähler und Humorist. Weiter läßt sich der Vergleich nicht führen, denn für die dämonische Kraft, mit welcher Hoffmann über das spukhaft Schreckliche, das grausig Spannende, über alle Schauer einer unheimlich verzerrten, dennoch organisch lebenden Phantasiewelt gebietet - für all das bietet Tieck keine annähernd ebenbürtigen Gegenstücke.
Man erzählt von dem Dichter der Nachtstücke, ihn haben zuweilen, wenn er spät nachts an seinen aufregenden Dichtungen schrieb, die selber geschaffenen Dämonen plötzlich mit solchem Grausen übermannt, daß er, flüchtig vor der eigenen Phantasie, sich die Augen habe zuhalten und die Arbeit unterbrechen müssen.
(Hermann Hesse)
6:54:06 PM
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