Wahlverwandschaften
Altenbourg . Benn
Eine Ausstellung zum 80. Geburtstag von Gerhard Altenbourg und zum 120. Geburtstag von Gottfried Benn
in der Galerie Brusberg Berlin (Berliner Zeitung)
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Zeit und Raum sind Flüche
über Land gebaut, ob es Rosenbrüche,
ob es Schleierkraut,
irdische Gestaltung
tragische Sukzession,
komm, o Glückentfaltung,
sammelnde Vision.
(Benn aus: Meer- und Wandersagen)
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Gerhard Altenbourg oder: Machen wir, was wir wollen? Wollen wir, was wir machen? Sie waren vier Geschwister in einer Pfarrerfamilie der Freikirchlichen Gemeinde: Baptisten. Eine Sekte, die zur Hofstadt Altenburg gehörte, nicht wenige, meistens Kleinbürger, jedenfalls nicht gerade die Erfolgreichen. Mit ihnen hörte der Schuljunge Gerhard die Predigten des Vaters. Hugo Ströch hat alle seine Reden aufgeschrieben, in altdeutscher Handschrift wie ein Bürofachmann. Es sind fast hundert Schulhefte, er hat sich kaum wiederholt, trotzdem handeln fast alle nur von der Sünde, von den kleinen Sünden des Tages, das heißt von »Fleisch« und heiligem Geist. Das Leben des Menschen besteht im Streben nach dem hl. Geist, vermittelt durch Jesu Christi Blut. So entsteht eine Überwelt, in die nur ganz selten reale Geschehnisse Eingang finden. Der hochbegabte Gerhard hat sie in sich aufgenommen, indem er die Worte und Sätze des Vaters in bildliche Vorstellungen umwandelte. Mit dem Begriff Sünde wusste er nichts anzufangen, es ist zu vermuten, dass er sich dabei Gesichter, Menschen vorstellte – allgemein, ohne genauen Bezug auf den einen oder anderen Bekannten. Die Gesichter haben ihn ein Leben lang begleitet.
(F. Grimm)
7:38:51 PM
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